Corporate Guerilleros: die geheimen Tricks und Kniffe der Veränderungsgegner
Langsam wird es wirklich eng für Organisationen, die noch nach traditionellen, funktionalen und hierarchischen Prinzipien organisiert sind. Es kracht an allen Ecken und Kanten: konnte man sich bisher noch mit Optimierungsmaßnahmen im Alten durchwurschteln, sind nun die Grenzen hierfür erreicht. Der Veränderungsdruck steigt und die nicht mal subtile Botschaft ist Folgende: verändere Dich solange Du noch kannst oder Du wirst verändert, bzw. ganz obsolet.
Jetzt geht es an die Strukturen, sprich, ans Eingemachte: Positionen, Machtbereiche, Titel und Status. Da reagieren jene, die es endlich dorthin geschafft haben, natürlich besonders empfindlich. Auch wenn es klischeehaft klingt gibt es eine Gruppe, die besonders gefährdet ist: das sogenannte Mittelmanagement. Das sind die zweite bzw. dritte Ebene unter dem Top Management, die die Veränderung weder anstößt, noch viel zu gewinnen hat, ganz im Gegenteil. Während das Top Management die Macht hat, die Veränderung durchzusetzen und MitarbeiterInnen neue Möglichkeiten und Chancen für sich erkennen, zumindest teilweise, gibt es im Mittelmanagement — scheinbar — viel zu verlieren und wenig zu gewinnen.
Denn das Gebot der Stunde ist klar: anstatt sich um die Führungskräfte zu scharen und “mein Team” um sich zu versammeln, treten nun die Kunden ins Zentrum und die Führungskräfte nach hinten. Sie sind nun nicht mehr im Mittelpunkt, sind nicht mehr jene, denen man versucht es recht zu machen, sondern es sind die Kunden. Moderne Organisationslogiken rücken ganz nah ran an den Markt “zero distance to the customer”: alles wird auf sie und ihre Bedürfnisse ausgerichtet, die fluiden und durchlässigen Strukturen legen sich wie ein weicher Handschuh in den Markt und um die Kunden. Kleine fokussierte Teams arbeiten weitgehend autonom, flexibel und schnell und bauen sich passende Business Eco-Systems auf. Dazu brauchen sie keinen Linienmanager mehr, sondern kreative und unternehmerische Geister, professionelle und wettbewerbsfähige interne Services, Flexibilität, Autonomie und starke Verbindungen in den Markt hinein. Bottlneckmanager und Autorität von oben sind nun Fehlanzeige und bestenfalls mal nicht im Weg.
So zwecklos der Widerstand, so alternativenlos die Veränderung auch sein mag, die vermeintlichen Veränderungsverlierer sehen nur den Preis und noch nicht den Gewinn, der auch auf sie wartet: interessante neue Aufgaben, Möglichkeiten zur persönlichen Entwicklung und Teil einer neuen Erfolgsgeschichte zu werden. Beziehungsweise sicherzustellen, dass das Unternehmen überhaupt eine Zukunft hat. Doch im Moment des drohenden Verlustes gelten solch rationale und vage Versprechungen nicht, denn was man hat, hat man. Spatz in der Hand und so….
Die Strategien der Veränderungsgegner oder eher der Bestandswahrer sind von Fall zu Fall, von Unternehmen zu Unternehmen sehr ähnlich und scheinen direkt aus dem Guerillakampf und der politischen Kampfrhethorik entlehnt, allerdings zur wirklich hohen Kunst stilisiert: im Gegensatz zu offenem Krieg muss der Widerstand subtil sein und der Schein, dass man mitmacht, genannt “Pseudo-Kooperation” gewahrt bleiben. Niemand darf sich die Blöße geben, als ewig gestriger und statusbewusster Old-School Manager entlarvt zu werden.
Die wichtigsten Taktiken der Bestandsbewahrer und Veränderungsgegner
Um die Kamftaktiken möglichst authentisch darzustellen schlüpfe ich nun in die Rolle einer klassischen Führungskraft, die vom Aussterben bedroht ist und schildere meine Kampftaktiken, die ich zur Anwendung bringe um mein wahres Bedürfnis und meine Ängst zu verschleiern, das Schlimmste zu verhindern und trotzdem als fortschrittliche Managerin dazustehen:
Ich stelle von vornherein klar, dass ich (im Gegensatz zu anderen) immer offen für Veränderung war und bin.
Ich benutze Sätze wie: “Ihr kennt mich ja, ich war und bin immer jemand, der Veränderung vorantreibt”, auch wenn das nicht wirklich zutrifft. Aber ich positioniere mich als Change Agent erster Güte, sodass mir niemand vorwerfen kann, prinzipiell gegen Veränderung zu sein. Im Gegenteil, ich reagiere empört wenn jemand glaubt, ich sei gegen Veränderung und beweise das Gegenteil.
Ich betone immer wieder die große Verantwortung, die ich gegenüber der Organisation spüre.
“Veränderungen sind gut und wichtig, wir müssen jedoch auch auf die MitarbeiterInnen schauen, und dürfen sie nicht überfordern”. Ich schiebe also die Veränderungsresistenz der MitarbeiterInnen vor, um meine eigene zu kaschieren.
Weiters geht es mir persönlich (im Gegensatz zu manch anderen) immer nur um “die Kunden”.
Ich betone das in einer Art und Weise die deutlich macht, dass das bei anderen ja nicht so sei. Denn das ist die Unterstellung die gleichzeitig mitläuft. Ich sehe also bei vielen der überlegten Veränderungen Nachteile für die Kunden: Was wenn dann alle auf die gleichen Kunden losrennen?
Ich bin in großer Sorge, dass “Chaos” ausbricht (wenn ich nicht mehr alles kontrollieren kann).
Grundsätzlich bin ich schon für mehr Empowerment der Mitarbeiterinnen, um ihr Potential zu heben, aber mir ist auch klar, dass sie ohne meine Führung verloren sein werden und alles ins Chaos stürzt. Das wäre nicht zu verantworten. Dass jetzt schon sehr viel ohne mich läuft, entfällt mir dabei.
Ich hinterfrage das Vorhaben insgesamt. Immer und immer wieder
Gerne stelle ich das Ganze Vorhaben in Frage, denn eigentlich läuft es ja auch sehr gut: warum müssen wir uns und das Erreichte immer schlecht machen? Ich betone die Erfolge bisher, den tollen Einsatz unserer MitarbeiterInnen und beklage, dass wir nur die Probleme betonen und nicht genug auf das schauen was gut läuft. Gleichzeitig orte ich Handlungsbedarf in Feldern, die nicht in meiner Zuständigkeit liegen.
Ich schicke den Prozess wieder in die Analyseschleife
Ich schlage ich vor, dass wir nochmal analysieren, was eigentlich die Ursachen für unsere Probleme sind (nämlich sicher nicht die Strukturen). Tief besorgt betone ich, dass es noch keine letztendliche Klarheit über die tatsächlichen Ursachen unserer Probleme gibt. Daher sind wir gut beraten, diese erst wirklich zu ergründen um bloß nicht in die falsche Richtung loszulaufen. Warum etwas ändern? Haben wir das Problem ausreichend analysiert? WISSEN wir eigentlich, was wirklich das Problem ist? Wir würden vielleicht herausfinden, dass wir die falschen Leute haben? oder nicht?
Ich male den Teufel an die Wand
Ich bin sehr gut darin, mir alle möglichen dramatischen Konsequenzen und Probleme der Veränderung auszumalen und darüber ausführlich öffentlich zu referieren und mich als diejenige darzustellen, die sich ihrer großen Verantwortung bewusst ist (im Gegensatz zu den anderen, die sich kamikazemäßig in den Abgrund stürzen und alle mitreißen)(soo radikal alles). All das natürlich aus meiner grundstätzlichen Verantwortung heraus und manches davon ist nicht einmal übertrieben sondern tatsächlich möglich. Schaffen das die Leute? Ist das nicht zuviel Innenbeschäftigung? Wer kümmert sich um die Kunden in der Zwischenzeit? Operationales Risiko? Was wenn es nicht gelingt?
Ich stelle viele noch unbeantwortbare Fragen
Anstatt im Prozess und in der gemeinsamen Erforschung der Möglichkeiten und Lösungen zu bleiben stelle ich lieber viele Fragen, die zwar relevant und wichtig und richtig, derzeit aber noch völlig unbeantwortbar sind. Mit meinen vielen Fragen unterminiere ich das Vorhaben, weil ich aufzeige, welche Schwierigkeiten und Gefahren am Weg lauern. Ich beweise scheinbar, dass das alles nicht wirklich durchdacht ist. Auf den Hinweis, dass man noch nicht so weit sei und auf wesentliche Vorschläge meinerseits hoffe, reagiere ich ungehalten. Das sollen dann doch bitte jene beantworten, die glauben, dass man nun an den Strukturen schrauben müsse.
Ich konstruiere Unterstellungen und Zusammenhänge
“Ihr habt doch gesagt, dass… ” ich versuche also die “Gegner” mit ihren eigenen Waffen zu schlagen und auszuhebeln. Plötzlich fällt mir wieder ein, dass jemand vor vielen Jahren in einem Workshop gesagt hat, dass “Strukturen verändern nix bringt”. Dass das ein anderer Kontext und eine andere Zeit war, ist unerheblich. Ich bin auch Meisterin darin, meinen Gegnern aus allem, was sie sagen einen Strick zu drehen und sie möglichst negativ zu interpretieren: “na toll, ab sofort darf also jeder machen was er will”.
Wenn ich keine inhaltlichen Argumente habe, kritisiere ich den Prozess
Ich sage: das mag schon alles richtig sein, aber der Prozess, der war methodisch nicht sauber. Das war Top-Down, sehr viel Hierarchie oder nicht so, wie man solche Prozesse macht. Insofern sehe ich mich nicht in der Lage, das Ergebnis zu akzeptieren.
Ich zettle einen Stellvertreterkrieg an und kritisiere die Berater, stelle zumindest deren Kompetenz in Frage, oder auch ihre Absichten
Berater darf man ausnahmslos und immer straflos kritisieren. Hier kann ich mich ausleben, obwohl ich eigentlich das Top Management meine, die diese Berater engagiert haben. Da das nicht geht, habe ich die perfekte Ersatzzielscheibe. Ich kann ihre Kompetenz, ihre Vorgehensweise und sogar den Auftrag in Frage stellen und damit das gesamte Vorhaben in Verruf bringen. Außerdem gehen sie mir ohnehin auf die Nerven, diese Theoretiker, die immer nur groß reden, sollen sie doch selber mal machen, was sie uns vorschlagen.
Last but not least: Ich unterstelle anderen, was eigentlich mein Bedürfnis ist.
“Denen geht es doch nur um ihren Status, ihren Machtbereich und um den Bonus”, sage ich gerne. Denn so lenke ich am besten davon ab, dass es mir — nicht nur — aber schon auch sehr um diese Themen geht. Immerhin habe ich mich dafür abgemüht es bis hierher zu schaffen und nun sollen mir die Früchte meiner Anstrengungen genommen werden.
Fazit und Möglichkeiten
Ich bin sicher, es gibt noch andere Tricks und Kniffe, die mir entgangen sind. Abschließend kann ich sagen, dass ich mich in der Rolle des Veränderungsgegnerin durchaus im Recht fühle und auch viele Dinge sage, die richtig und für den Prozess wichtig sind. Ich fühle mich nicht wirklich im Widerstand und viele meiner Aktivitäten sind mir gar nicht so bewusst. Die Tricks sind zum Teil so geheim, dass nicht mal ich sie erkenne. Ich fühle mich nicht wie jemand, der aktiv im Widerstand ist, meine Bereitschaft ist aber gering, diese in eine konstruktive Vorwärtsbewegung zu bringen, weil ich noch kein positives Vorbild kenne, was dann aus mir wird. Deswegen halte ich am Bestehenden fest, solange ich kann, obwohl ich mich oft beschwert habe über den Stress, den Druck, die Anstrengung und die Überforderung. Aber die Idee einer Lösung und Veränderung stresst mich noch mehr.
Was mir also helfen würde, wäre schnell etwas Neues auszuprobieren an dem ich erkenne, dass ich Teil der Zukunft und des Erfolges bin und nicht das alte Eisen, das aussortiert werden soll.
Das ist nämlich die größte Angst, dass alles, was bisher gut war, plötzlich nichts mehr wert sein soll und ich nicht mehr gebraucht werde. Was mir auch helfen würde ist eine Sicherheit, dass mir zumindest Jobtitel und Geld im bisherigen Ausmaß bleiben, zumindest in einer Übergangszeit. Ich brauche ein gewisses Maß an Sicherheit und Wertschätzung, aber es ist wichtig, dass nicht allen meinen Befindlichkeiten nachgegeben wird.
Wenn ich merke, dass alle versuchen es mir recht zu machen, spüre ich die Macht und werde immer nerdiger. Es tut mir gut, wenn ich auch mal höre, dass es jetzt reicht und dass wir das jetzt so oder so machen. Ich beschwere mich zwar, aber mache dann trotzdem mit. Ich lote ständig die Grenzen aus, was gerade noch geht. Es ist wichtig, mich mitzunehmen, aber ich spüre, dass ich es nicht übertreiben darf.
Sobald ich etwas in Aussicht habe, auf das ich mich freuen kann, bin ich dann wieder dabei. Ich möchte spüren, dass ich tatsächlich gebraucht werde und weiterhin wichtig sein werde.
P.S.: falls Sie sich angesprochen fühlen, ist das absolut beabsichtigt, ich habe jedoch einen Querschnitt aus vielen Unternehmen und Jahren gewählt und kein spezifisches Unternehmen oder Personen gemeint.